Wie Ausschreibungen in der Unternehmenskommunikation zum Aha-Erlebnis werden
Media Intelligence-Ausschreibungen in der Unternehmenskommunikation sind eine exzellente Möglichkeit für Markterkundungen, Reputationssteigerung, Budget-Controlling und das Challengen der Bestands-Dienstleister. In der Realität aber fehlt es den chronisch klammen und unterbesetzten Comms zu oft an echtem Gestaltungswillen und -raum. Dies führt im schlimmsten Fall zu einer lose-lose-Situation im Alltag. Woran das liegt – und wie eine Ausschreibung zu einem vollen Erfolg werden kann.
Der Startschuss: Zwischen Fremdbestimmtheit, Gestaltungswille und Ressourcenmangel
Media Relations-Verantwortliche können ein Lied davon singen: Ausschreibungen sind selten intrinsisch motiviert. Es läuft doch eigentlich ganz solide mit dem Dienstleister, und dann kommt der neue Head of Comms und will seinen alten Buddy-Provider in die Unit pressen, oder der Einkauf pocht auf Einhaltung interner Regularien.
Solcherlei Fremdbestimmtheit ist kontraproduktiv, doch wer darüber klagt, übersieht das eigentliche Problem.
Die weithin fehlende Begeisterung gegenüber Dienstleister-Evaluationen ist eher grundsätzlicher Natur, und hat zuallererst mit dem (zumindest temporär betrachtet) beachtlichen Projekt Management zu tun, das damit einhergeht. Die Unternehmenskommunikationen planen hierfür – wie für das gesamte Media Intelligence Management – angesichts der Budgetzwänge in den seltensten Fällen Ressourcen ein und wehren sich demzufolge regelmäßig, neben dem intensiven Tagesgeschäft Ausschreibungen proaktiv anzugehen. Jede Gelegenheit wird genutzt, das Thema ein weiteres Jahr auf die lange Bank zu legen. Und wenn es dann doch mal wieder „sein muss“, dann am besten mit dem geringstmöglichen Aufwand. Copy Paste der Unterlagen der letzten Ausschreibung rulez!
Wie es auch im konkreten Fall aussehen mag: Wenn die Fachabteilung keinen eigenen Gestaltungswillen und -raum für eine Ausschreibung hat, ist das eine denkbar schlechte Voraussetzung. So entstehen im Zweifel Fake-Ausschreibungen, die immer noch Aufwand mit sich bringen, in denen aber der Sieger von vornherein feststeht und es keinen Erkenntnisgewinn in Form von Weiterentwicklung des Produktportfolios gibt. Oder noch schlimmer: man wählt einen Dienstleister, den man nicht gut genug kennenlernen konnte im Prozess, und fällt beim Onboarding schwer auf die Nase.
Im Best Case-Szenario dagegen geht die Unternehmenskommunikation proaktiv vor:
- sie schafft in der Unit Raum für das Media Intelligence Management oder zieht (temporär, anlassbezogen in Wiederholungen oder dauerhaft) externe Beratung hinzu, die sich mit dem Themenkomplex auskennt
- sie hinterfragt regelmäßig ihre bestehenden Services entlang der sich ebenfalls wandelnden Kommunikationsstrategie und dem Kosten-Nutzen-Faktor
- sie informiert sich regelmäßig über andere Leuchtturm-Projekte des Dienstleisters und von Wettbewerbern des Dienstleisters
- sie schreibt regelmäßig (alle zwei Jahre ist ein guter Turnus) aus. Ob dies öffentlich geschieht, liegt oft nicht in der Hand der Unternehmenskommunikation. Tut es dies doch, so soll jede UK für sich entscheiden, welcher Weg der beste ist. Die Faustregel lautet: je weniger Marktkenntnis der Auftraggeber hat, desto mehr spricht für den öffentlichen Weg
- sie steuert die Ausschreibung ambitioniert, offen und sorgfältig
- und sie nimmt dabei alle internen Stakeholder (vom Head of Comms über etwaige weitere Units und sonstige „Empfänger“ bis zum Einkauf) mit
Ein solches Vorgehen ist nachhaltig; es zahlt sich nicht nur in puncto Reputation aus, sondern in aller Regel auch monetär, wenn das Media Intelligence Management auch durch ein fortlaufendes Comms Controlling innerhalb der gesamten Wertschöpfungskette flankiert wird. So kann angesammeltes Fett stetig abgetragen werden, sei es durch das Streichen obsoleter oder nicht zielführender Services, den Einsatz stetig ansteigender Automatisierungsprozesse oder klugen Maßnahmen in der Media Monitoring Distribution (Lizenzen, Datenfeeds, Abos, Leserzahlen etc.). Es macht zudem im Zweifel resilient vor „äußeren“ Eingriffen, da ein eingespielter Prozess schwieriger zu konterkarieren ist. Und es macht auch den Bestands-Dienstleister, wenn er sich denn in der Ausschreibung durchsetzt, laufend besser. Win-Win statt lose-lose…leider oft nur Theorie statt Praxis.
Die Aufbereitung: Zwischen Prosa und Excel
Die aufzubereitenden Dokumente für eine Ausschreibung sind keine triviale Angelegenheit. Sie sind vielmehr elementare Voraussetzung für passende Bieter-Angebote und eine optimale Vergleichbarkeit potenzieller Bewerber.
Schlecht aufbereitete Ausschreibungsdokumente können sich zum Minenfeld entwickeln. Sie erschweren den Prozess der Ausschreibung und die Bewertung der Angebote, bringen unliebsame Überraschungen im Onboarding zu Tage, und behindern im daily business das Quality Management des Dienstleisters. Daher sollte der Auftraggeber einwandfreie Dokumente aufbereiten, die in Sachen Sorgfalt und Qualität einem kleinen Finanzbericht oder einem Strategiepapier Paroli bieten können.
Neben den administrativen Formblättern, die je nach Prozess nötig sind, sollte eine Ausschreibung folgende Grundlagendokumente umfassen:
- Das geforderte Medienpanel: Es macht nur in den seltensten Fällen Sinn, den Kelch hier an die Bieter weiterzugeben. Denn dabei kommen nur Überbietungswettbewerbe raus, die den wahren Bedarf und die Kosten unnötig ausdehnen. Das Panel sollte besonders bei qualitativ orientierten Leistungen dem Grundsatz „Smart Data“ statt „Big Data“ folgen und definiert werden vom Auftraggeber, um das relevante Stakeholder-Spielfeld festzulegen. Nice to haves, wie dynamische Anpassung, aktive Medienberatung oder Stakeholder- bzw. Influencer-Audits o.ä. kann man im RFI (Request for Information, s.u.) abfragen, um die Dienstleister auf ihre dahingehende Kompetenz und Flexibilität zu prüfen.
- Eine detaillierte Leistungsbeschreibung der angefragten Services: Der Auftraggeber sollte in diesem Dokument die konkreten Leistungen sowie die Erwartungshaltung dahinter eindeutig platzieren. Kennzahlen wie Artikelmengen, Lieferzeiten, Anzahl Lizenzen, Leserkreise, Deadlines, Reaktionszeiten, Service Level etc. dürfen nicht fehlen. Die Prosa ist an dieser Stelle aber genauso wichtig: Was muss welcher Service leisten? Welche Qualität wird im Detail erwartet? Wo ist der Mensch entscheidend und was kann automatisiert erfolgen? Wie stellt sich der Auftraggeber Distribution, den Austausch im daily business und dynamische Anpassungen von Leistungen vor? Die Leistungsbeschreibung ist der auf die aktuellen Bedürfnisse modifizierte Redaktionsleitfaden des Bestands-Dienstleisters (hoffentlich liegt einer vor!), sollte aber ggf. modifiziert, sprich: in eigene Worte gebracht werden, damit der Bestands-Dienstleister keinen unlauteren Vorteil darin platzieren kann, den der Auftraggeber im Zweifel nicht entdecken wird in den Formulierungen.
- Ein RFI (Request for Information): Manche Ausschreibungen lagern das komplett aus bzw. ziehen es einer Ausschreibung vor. Das dient vor allem dazu, aus einer Longlist eine Shortlist zu machen. Das macht bei öffentlichen Ausschreibungen auch Sinn, um den Grad der Beschäftigung mit den umfangreichen Dokumenten der Bieter möglichst effizient zu gestalten. Man kann das RFI-Dokument aber auch in einen integrierten Zeitplan der Ausschreibung betten. Konkret hängt der richtige Weg vom Case ab. Was bleibt: Der RFI liefert dem Auftraggeber wertvolle Erkenntnisse zum Bieter, wenn die richtigen Dinge abgefragt werden. Er ist besser als eine reine Unternehmensvorstellung der Bieter, denn diese gehen in aller Regel nicht wirklich auf den Bedarf des Auftraggebers ein, sondern plustern sich stattdessen selbst möglichst plakativ auf. Der Auftraggeber sollte also lieber konkret abklopfen, worauf es ihm ankommt. Informationen zur Infrastruktur und Leistungsfähigkeit der Bieter sind obligatorisch, entscheidend sind aber auch Referenz-Projekte und -Kontakte, besonders letztere sollten bei einer Abfrage dann auch kontaktiert werden, um zwischen den Zeilen zu lesen, wie der Bieter im daily business performt. Ein Abfragen der Branchenexpertise kann sinnvoll sein, im Grunde geht es aber allgemeiner um Qualitätsbewusstsein, Verbindlichkeit und Engagement. Am Ende ist Media Intelligence Dienstleistung ein People Business, also sollte der Auftraggeber auch die Bieter auffordern, das Team expressis verbis zu benennen, abzubilden, portraitieren zu lassen und an geeigneter Stelle im weiteren Prozess auch persönlich kennenzulernen.
- Eine festgelegte Preismatrix: Hier sollte genau darauf geachtet werden, keine offenen Fragen oder individuelle Bearbeitung von Zellen und Werten entstehen zu lassen. Der Aufbau sollte also von vornherein die bestmögliche Voraussetzung für eine optimale Vergleichbarkeit liefern. Wenn irgendwie möglich, sollte mit Pauschalen (auf der Grundlage von Artikelmengen und weiteren Kennzahlen, die sich auch im Leistungsverzeichnis finden) pro Leistungsumfang operiert werden. Die einzelnen Leistungen sollten also nicht kleinteilig zerpflückt werden (etwa in Recherche, Ausgabenpreis, Artikelpreis, Preis pro Medium, Land etc.), da dies nur Unübersichtlichkeit mit sich bringt. Daneben sollten allgemeine Stundensätze abgefragt werden sowie Einzelpreise bei etwaigen Überlieferungen der Kennzahlen. Auch wenn nicht jeder Fall gleich geartet ist und es mitunter auch komplexer werden kann: Vereinfachung ist grundsätzlich geboten. Gleichzeitig sollten alle Preisdeterminanten bedacht werden, sonst entstehen beim Onboarding Zusatzkosten, die auf fehlende Sorgfalt zurückzuführen sind.
- Eine Bewertungsmatrix: Um eine solide und objektive Entscheidung treffen zu können, sollte eine Bewertungsmatrix aufgesetzt und mit den Bietern geteilt werden. Die Matrix enthält im besten Fall mehr als zwei Kriterien. Möglich ist etwa: Qualität des RFI, Performance im Pitch-Termin, Performance einer Aufgabenstellung, Preis. Man kann die einzelne KPIs gewichten. Leider geschieht dies zu häufig zugunsten der Preisebene, was dazu führt, dass durch Versteigerungen oder Dumping-Preise Dienstleister an Bord geholt werden, die fachlich nicht zur Unit passen. Das ist ein grob kurzsichtiger Trugschluss, denn die ressourcenbedingten Folgekosten für die zusätzliche Steuerung und das Qualitätsmanagement fressen die Einsparungen schnell wieder auf. Hinzu kommt: Beginnt eine Ausschreibung unter solchen Voraussetzungen, schadet das der internen Reputation, der Motivation und einem guten Miteinander zwischen Auftraggeber und -nehmer. Daher: Der Preis sollte gegenüber den anderen Faktoren keine gehobene Stellung in der Gewichtung einnehmen. Es lohnt sich, in der Fachabteilung dafür zu kämpfen.
- Natürlich darf auch ein Zeitplan für die Ausschreibung nicht fehlen
- Eine Checkliste für die Bieter, was die Abgabe der Dokumente betrifft, ist je nach Komplexität ebenfalls sinnvoll
Schon diese kurze Auflistung zeigt: auf die leichte Schulter nehmen sollte man ein Ausschreibungsprojekt nicht. Umgekehrt fallen die Dokumente umso leichter, wenn man eine laufende Dokumentation und dynamische Anpassung der Dokumente im Media Intelligence Management eingeführt hat.
Der Prozess: Zwischen Effizienz und Erkenntnis
Besonders öffentliche Ausschreibung glänzen zu häufig vom Start bis zur Vergabe vor Anonymität. Dabei bringt der persönliche Austausch oft die größten Erkenntnisse! Der Auftraggeber sollte daher immer Pitch-Termine in den Prozess integrieren. Wie breit und tief man diese auslegt, entscheidet der Case und der Prozess (hierfür ist die Longlist-Shortlist-Methode im Rahmen des RFI hilfreich). Am besten ist, man definiert den Pitch-Termin vorher inhaltlich und zeitlich klar durch. In etwa so:
- 90 Minuten
- Vorstellung des Teams
- Vorstellung der exemplarischen Aufgabenstellung
- Vorstellung des Onboarding-Prozesses
- Vorstellung des Angebotes
- Q&A
Auch die Fragen und Antworten zu den Ausschreibungsunterlagen kann man in einem persönlichen Call klären bzw. näher darauf eingehen. Eine Beantwortung der Fragen jedes einzelnen Bieters an alle Bieter in schriftlicher Form ist aber auch ok. Der Auftraggeber wird dabei übrigens auch feststellen: je weniger Fragen, desto besser waren seine Dokumente. Und je weniger Rückfragen, desto besser waren die Antworten.
Die genannte exemplarische Aufgabenstellung sollte verhältnismäßig sein, und es gebietet der Respekt vor den Bietern, diese auch zu bezahlen bzw. mit dem Setup zu verrechnen. Dies bekräftigt gegenüber dem Dienstleister die Ernsthaftigkeit, und ist nebenbei auch ein gutes Korrektiv für den Umfang der Aufgabenstellung. Die Aufgabe sollte echte Erkenntnisse bringen und vergleichbar sein. Sie muss nicht unbedingt die wahre Leistungsstärke des überlegenen Bieters repräsentieren, dient aber u.a. auch später gut als Benchmark, wenn es um das Onboarding geht.
Am Ende ist der Prozess die Bestätigung, dass die Aufbereitung der Anforderungen verstanden wurde und jeder Bieter entlang dieser seine Qualitäten dabei ausspielen konnte. Außerdem gewinnt der Auftraggeber ggf. weitere Insights über sein Media Intelligence Setting und mögliche Ausbaustufen für die Zukunft.
Deshalb sollte auch in dieser Stufe der Ausschreibung Raum und Intensität investiert werden.
Die Entscheidung: Zwischen Bauchgefühl und Vernunft
Wenn es darum geht, sich für den richtigen Dienstleister zu entscheiden, führt der o.a. Prozess meist zu einer Objektivierung des Bauchgefühls, so wie eine gute Medienresonanzanalyse. Stimmt das Media Intelligence Management, so wird auch ein Dienstleisterwechsel die dahingehenden Bedenkenträger verstummen lassen. Und die Entscheidung, an einem Dienstleister festzuhalten, kann damit genauso gut argumentiert werden.
Je enger die Entscheidung ist, desto mehr sollte auf das Bauchgefühl derer gehört werden, die an der Media Relations-Front mit dem Dienstleister arbeiten. Also bottom-up statt top-down entscheiden.
Ehrliches und eingehendes Feedback in Richtung der unterlegenen Bieter sollte Formsache sein. Das wird nicht nur gutiert von den Bietern, sondern zahlt auch auf zukünftige Angebote dieser Bieter ein.
Außerdem ist es eine sinnvolle Vorgehensweise, den Zweitplatzierten anlassbezogen (etwa mit einer Sonderanalyse oder einem neuen Projekt abseits der Leistungen aus der Ausschreibung) zu beauftragen, um ihn näher kennenzulernen. Daraus entstehen sehr häufig beste Ergebnisse, da der Bieter sich extrem ins Zeug legen und demzufolge überliefern, der Bestands-Dienstleister außerdem herausgefordert, und der Media Intelligence-Horizont der Media Relations-Unit erweitert wird.
Epilog: Ist das wirklich alles?
Nehmen Sie das Heft in die Hand. Etablieren Sie einen Prozess. Schaffen Sie Raum und Ressourcen für das Media Intelligence Management, durch eine interne Stelle oder durch externe Beratung wie MIC. Planen Sie eine Ausschreibung von A-Z sorgfältig, und nehmen sie diese ernst. Die Ergebnisse werden Sie überraschen – monetär, strukturell und konzeptionell sollten Ihre Ausschreibungen der Benchmark sein. Es lohnt sich, versprochen!