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Agenda Surfing auf der Themen&Trends-Tracking-Welle

Unternehmen, die Vorhersage-Modelle in der Kommunikation einsetzen möchten, um ihr Agenda Surfing zu perfektionieren, sollten vorbereitet sein. Der bloße Wunsch, in eine Glaskugel blicken zu wollen, reicht nicht und enttäuscht am Ende nur. Da lohnt sich dann doch eher ein Ausflug auf den Jahrmarkt. Und für Dienstleister gilt: eine gute, KI-gestützte Software und smarte Scripts des Data-Spezialisten sind die Basis für entsprechende Lösungen, aber nicht das Ende der Fahnenstange. Echter Mehrwert, echte Relevanz entsteht im Kopf, durch Konzeption, Analyse der Ergebnisse, Support bei den Schlussfolgerungen und die Übersetzung in skalierbare Lösungen. Für beide Gruppen gilt: KI ist stark. Kollaboration ist stärker.

Die Grenze zwischen Aha-Erlebnis und Ernüchterung

Ich bin kein Data Scientist. Aber ich weiß, was Mehrwert in der datenbasierten Kommunikationsarbeit schafft. Mit diesem leicht angepassten Filmzitat aus „Forrest Gump“ möchte ich direkt zu Beginn darauf hinweisen, dass Details zu Machine Learning, neuro-linguistischem Programmieren, mathematischen Modellen oder KI-Algorithmen und -Lernkurven hier nicht vorkommen. Ich komme aus der Ecke der Konzeption und Umsetzung. Getting things done! eben. Für mich geht es also darum, möglichst zielorientierte Lösungen für die Anforderungen von Unternehmenskommunikationen zu entwickeln. Mit Unternehmen und Dienstleistern. Und dabei beide an die Hand zu nehmen, um diese Lösungen umzusetzen bzw. skalierbar zu machen.

Ich durfte in den letzten Jahren sehr kluge Expert:innen aus dem Data Science-Feld kennenlernen, ihre Arbeit begleiten, sie beobachten und daraus lernen. Expert:innen, die in Windeseile (so kam es mir jedenfalls immer vor) Big Data durch Einsatz von Scripts und KPI-Verbindungen in Smart Data verwandeln konnten, und das weit über Big Media Data hinaus. Ich habe predictive-Lösungen für Unternehmensunits aus Comms, Marketing, BI, Einkauf, Management und HR gesehen und mitentwickeln dürfen, die mich wirklich staunen ließen.

Predictive Comms als eines von unzähligen Anwendungsgebieten kann dabei umfassend ein- und umgesetzt werden: zur Reputationsmessung und -steuerung, zur vorausschauenden Themenbesetzung oder zum aktiven Stakeholder- oder Krisen-Management, um nur einige Beispiele zu nennen. Mittlerweile scheint der Traum vieler Comms-Units in der Theorie umsetzbar: Themen vorausahnend besetzen, Shitstorms im Vorfeld antizipieren und dadurch nicht entstehen zu lassen, Reputation und Thought Leadership nicht dem Zufall überlassen, alle Stakeholder zur richtigen Zeit auf dem richtigen Kanal mit dem richtigen Inhalt zu bespielen. Ich bin ein echter Fan dieser predictive-Lösungen geworden und auch absolut überzeugt davon, dass sie jeder Unternehmenskommunikation einen wertvollen Dienst erweisen können.

ABER: Ich habe auch sehr viel heiße Luft gesehen. Und besonders im Bereich Comms, in der Zielgruppe, in der ich mich am besten auskenne, bin ich auch oft auf Ernüchterung gestoßen. Ich könnte jetzt in das mittlerweile ausgeleierte Horn stoßen, Comms sei bei datenbasierter Arbeit einfach strukturell oder kulturell noch nicht so weit. Oder sagen, Comms sei ein Sonderfall, in dem Vorhersage-Modelle wegen der Dynamik in der Kommunikation nicht funktionieren. Ich könnte auch kritisieren, die Versprechen so mancher Intelligence-Dienstleister seien faule KI-Versprechen, weil es allzu oft an individualisierter qualitativer Ausprägung fehlt und die Maschine dann viel ausspuckt, aber nichts sagt. Das trifft es aber m.E. alles nicht. Ich meine: Zwischen Ernüchterung und Aha-Erlebnis verläuft eine feine Linie, die sich beeinflussen lässt. Diese Linie zeichnen die Protagonisten selbst. Und deshalb hier ein paar konzeptionelle Anregungen für Comms und Dienstleister, um predictive Comms erfolgreich zum zielgerichteten Agenda Surfing einzusetzen.

Comms: Ein Hype ist kein Trend, und ein Impuls ist kein Plan

Wenn Sie sich in Ihrer Unternehmenskommunikation ernsthaft mit dem Thema datenbasiertes Agenda Surfing beschäftigen wollen, sollte der Einsatz von Tools oder Dienstleistern Hand und Fuß haben und nicht aus einem Impuls heraus geschehen. Klar: Impuls-Projekte können mitunter auch erhellend sein. Aber die Gefahr, dass die schnellen Ergebnisse nicht den wirklichenn Nerv treffen, ist hoch. Das ist weder neu noch überraschend, man kennt es auch von anderen punktuellen Medienanalysen. Ins Blaue hinein analysieren ist schwierig. Das Risiko sollte immer einkalkuliert werden bei Impulsen. Das gilt besonders beim Thema predictive Comms.

Wenn am Anfang also bloß die schlichte Anforderung gestellt wird, schnell mal einen Trend zu einem Unternehmen, einem Thema oder einer Branche geliefert zu bekommen, und dabei nicht bedacht wird, welche strategischen Leitlinien als Rahmen eingespeist werden müssen oder wie praktisch mit den Ergebnissen gearbeitet werden soll, geschieht oft dasselbe wie bei allen anderen derart ausgerichteten Intelligence-Lösungen: das Ergebnis verpufft.

Gelungene predictive Comms-Projekte folgen einem Plan, der sich entlang dieser übergeordneten Leitlinien bewegt.

  • Zielsetzung und Umfeld-Bedingungen
  • Timing
  • Datengrundlage
  • Ergebnis-Analyse
  • Action points

Spielen wir das einmal am Beispiel „reputationsorientierte Themensetzung“ durch.

Die Zielsetzungen des Vorhersage-Modells könnte sein:

  • ein dynamisches und proaktives Agenda Surfing zu den strategischen Themen und Trendentwicklungen aufsetzen
  • das Kanal-, Corporate Publisher- und Themen-Management entlang der Trendentwicklungen in der Themensetzung neu zu kalibrieren
  • die KPI-Werte aller Themen i.V. zur IST-Situation um x % erhöhen
  • Thought Leader eines oder mehrerer Trend-Themen zu werden
  • den CEO durch gezielte CEO-Kommunikation zu einem Trend-Thema nachhaltig als Trendsetter platzieren

Zum Timing ist wichtig zu erkennen, dass solcherlei Projekte kein Sprint sind: Wenn Sie etwas derartiges andenken, empfiehlt sich ein Zeitraum von nicht weniger als 12-15 Monaten, damit das dahingehende Agenda Surfing einstudiert praktiziert werden kann. KI-Modelle arbeiten in der Regel und am besten mit Daten, die 12 Monate rückwirkend historische Daten einsammeln, um dann etwa 3 Monate in die Zukunft zu blicken und dabei Hype-/Trend-Prognosen zu geben. Anschließend sollten die Daten (zum Beispiel) quartalsweise aktualisiert werden, um die Vergewisserung zu erhalten, ob ein Hype zu einem Trend wird und wie sich die Themen weiterentwickeln. Verabschieden Sie sich übrigens von der Vorstellung, Sie könnten durch ein solches Modell erahnen, was in drei Tagen da draußen passiert. Es geht nicht um das Auslöschen der Ungewissheit, das ist unmöglich. Es geht um das punktgenaue surfen auf der großen Welle ihrer Megathemen. Die sind in der Regel bekannt und bleiben es.

Wenn Sie also für das Jahr 2025 etwas planen, sollten sie jetzt Ihre Hausaufgaben inkl. Tool-/Dienstleisterauswahl machen, um dann zu Beginn des nächsten Jahres mit Ergebnissen zu starten und diese durchzusteuern. Machen Sie das richtig, haben Sie Ende 2024 sehr wahrscheinlich bessere Ergebnisse in der strategischen Themensetzung als im Vorjahr, und sind top gewappnet für 2025.

Daten sind dabei das Handwerkszeug. Big (Media) Data. Die Konfiguration der Daten zu Beginn des Projektes ist aber auch ein entscheidender Erfolgsfaktor. Smart Data entsteht durch Datenfokus, Gewichtung, Verknüpfung, Auswertung, und Überführung ins Tun.

Stellen Sie sich also beispielsweise folgende Fragen im Vorfeld, was die Datengrundlage betrifft (hier am Beispiel Themen/Trends):

Welche Themenschwerpunkte besetze ich in meiner Comms-Strategie? Welche zusätzlichen Themen sind in der Überlegung? Wie performe ich derzeit in den einzelnen Themen? Welche Themen besetzen meine Wettbewerber auf dem Corporate- und C-Level? In welchen Kanälen spiele ich meine Themen vorzugsweise aus? Wer meiner Corporate Publisher spricht zu meinen Themen, wie erfolgreich tut er dies, und wie machen’s die anderen? Welche externen und internen Medien will ich in den Blick nehmen? Welches Gewicht haben welche Medien für mich/meine Wettbewerber? In welchen regionalen Märkten will ich Medien in den Blick nehmen? Welche KPIs sollen in den Blick genommen bzw. wie gewichtet werden?

Es gibt eine Reihe weiterer potenzieller Fragestellungen, aber schon aus dieser kurzen Auflistung lässt sich erahnen, wie viel Einfluss Sie bzw. Ihr Dienstleister auf die Qualität der Daten haben können.

Bei der Ergebnis-Analyse sind (wie bei anderen Medienanalysen auch) die Botschaften und die Empfänger von entscheidender Bedeutung. Achten Sie darauf, dass mit der Analyse alle internen Stakeholder abgeholt werden. Der Leiter Kommunikation sollte auf Meta-Ebene informiert und nicht mit Details überfrachtet werden; zum Beispiel in einem Report-Slide mit den Key Messages, zentralen Erfolgsmessungen und Rankings (Rankings sind und bleiben das Wichtigste auf dieser Ebene😉) sowie den Erkenntnissen und Handlungsempfehlungen bzw. den aktuell resultierenden action points. Die Analyse für den Leiter Comms, muss auf den ersten Blick Erkenntnisse bringen, denn er muss es wiederum den Unternehmenslenkern vermitteln, und je höher die Ebene, desto einfacher und prägnanter müssen die Botschaften sein. Auf Deep Dive Ebene kann die Analyse dann für die Experten aus Media Relations detailliertere Report-Slides bis hin zu dynamischen Dashboards liefern. Je intensiver Sie im Tagesgeschäft mit den Ergebnissen arbeiten wollen, desto mehr Dynamik sollte die Analyse haben.

Die erste Analyse ist natürlich die wichtigste. Auf einem starken Fundament lässt sich am einfachsten aufbauen. Nehmen Sie sich daher die Zeit, die Ergebnisdarstellung mit ihrem Dienstleister sauber zu konzipieren und mehrere Runden in der Abstimmung zu gehen, bevor Sie sie final intern präsentieren. Der erste Eindruck entscheidet darüber, ob das Projekt Anerkennung finden wird. Die laufenden Anschluss-Analysen dienen Ihnen dann zunehmend als Bestätigung Ihres Konzeptes, da die Daten genauer werden, die Vorhersagen besser, und Ihr Umgang damit leichter von der Hand gehen wird.

Beim Trend-&Themen-Tracking sind zudem die action points zentral, denn es geht ja darum, das Agenda Surfing darauf auszurichten. Sie ersetzen also im besten Fall die Handlungsempfehlungen, weil die Handlungsempfehlungen spätestens nach der Initial-Analyse in action points übersetzt werden sollten. Immerhin geht es bei predictive Comms ja darum, antizipierend Kommunikation vorzubereiten und je nach Entwicklung dann zum richtigen Zeitpunkt die richtige Story aus der Schublade zu ziehen. Wenn Ihnen die Analyse also heute die Themenentwicklung und wahrscheinlichen Trends von morgen zeigt, sollte ihr Agenda Setting darauf dynamisch abgestimmt und gleichzeitig sorgfältig vorbereitet sein.

Wenn Sie ihr T&T-Projekt nach diesen Leitlinien planen, ist die Wahrscheinlichkeit signifikant, dass es sich zu einem Heilsbringer in der aktiven Kommunikation entwickelt. Der Aufwand ist nicht zu unterschätzen, aber sicher auch keine Mammutaufgabe. Und wenn Sie einen starken Dienstleister oder/und Berater an der Seite haben, macht es sogar richtig Spaß.

Dienstleister: Raus aus dem Maschinenraum, rein in die skalierbare Relevanz

Die Herausforderungen der Unternehmen sind die Herausforderungen der Dienstleister. Deshalb steht die zielorientierte Konfiguration eines jeden Media Intelligence Projektes über den Daten, die man theoretisch zur Hand nehmen könnte. Die Daten haben ja im Grunde alle, oder kaufen sich diese bei Bedarf dazu. Auf die Ergebnisse kommt es an, in der Distribution, beim Konsum, beim praktischen Nutzen. Je besser, je „uniquer“ die Ergebnisse in ihrer Relevanz und Tauglichkeit ausgerichtet sind, desto mehr gewinnt der Dienstleister an Reputation, desto mehr Kunden gewinnt er. Deshalb sind kluge Key Accounter, die Projektmanagement draufhaben, Ideen entwickeln und eine starke Kundenorientierung mitbringen, wertvoller als die austauschbaren Datensilos. Sie machen den Unterschied.

Jeder ernstzunehmende Intelligence-Dienstleister hat eigene, gute Ansätze zu predictive Comms. KI-basierte Datennutzung mit umfassenden Vorhersage-Modellen gehört längst zu den Basics. Klingt nach El Dorado. Allerdings: Die proaktive Übersetzung der Daten in relevante Lösungen, und die Platzierung derselben im Markt für ganze Branchen, sprich: Zielgruppen – gelingt nur sehr selten.

Warum?

Leider bleibt dabei vor allem die Skalierbarkeit von Lösungen auf der Strecke. Die Tendenz zu individualisierten Prototypen versperrt den Lösungen den Weg in komplexe Märkte. Mal ist es der Prototyp-Kunde, der seine Produktkonfiguration nicht teilen will, mal sind es die dahinterliegenden Prozesse, die bremsen. Das gilt auch und besonders für KI-gestützte T&T-Projekte. Dienstleister müssen von vornherein in skalierbaren Lösungen denken, das überzeugt auch den Prototyp-Kunden am meisten.

Es wird in Webinaren, Webseiten oder Präsentationen auch deutlich zu viel Wert auf den Maschinenraum gelegt: Wir haben 150 Millionen Medien in der Auswertung! Wir haben 300 Millionen Medien in der Auswertung! Wir 700 Millionen! Wir bilden x Sprachräume ab. Wir y. Zertifikat hier, Sprachmodell da, Kooperationspartner dort. Das Ding ist nur….: Das ist alles langweilig. Die Frage des Kunden lautet: was bringt mir deine Lösung konkret für meine Kommunikationsarbeit? Hierfür müssen Antworten für einen Pitch gefunden und formuliert werden. Am besten direkt in einer beispielhaften Mini-Auswertung und einem Ausblick. Das bedeutet natürlich im Zweifel Investition, zeitlich und mitunter auch monetär. Leider schrecken zu viele Dienstleister noch vor dem damit verbundenen Risiko zurück.

Daher sage ich immer wieder, und auch im Falle von T&T-Tracking, in Richtung Intelligence-Dienstleister:

  • Mehr kunden(case)orientiertes statt prozessorientiertes Denken. Dienstleister beschäftigen sich bei Anfragen oder Pitches intern zu oft mit endlosen „backend“-Fragen, statt den Output in den Fokus zu nehmen. Was hilft meinem Kunden bei seiner täglichen Arbeit? sollte die entscheidende Fragestellung sein bei jedem Konzept.
  • Smarte, branchenübergreifende Langzeitstudien in Eigenregie zu einem relevanten Thema erhöhen die Sichtbarkeit enorm. Durch echte Ergebnisse (Rankings, Rankings, Rankings) entsteht Relevanz und Neugier. Wo sind die Leuchtturm-Projekte? Zeigt Sie uns!
  • Produktentwicklungen von der Skalierbarkeit aus denken. Schon immer waren es die wachsenden oder sich verändernden Kundenbedürfnisse, die Innovationsschübe bei Intelligence-Dienstleistern gebracht haben. Die Kunst ist es, die gesamte Zielgruppe daran teilhaben zu lassen, ohne den individuellen Mehrwert für den Pionier-Kunden dabei aufzuheben. Das beginnt am Anfang jeder Anfrage und jedem Pitch.
  • Schließlich: Gerade wegen der wachsenden Bedeutung von datenbasierter Kommunikationsmessung werden die Daten-Dompteure immer wichtiger. Stellt die People in den Vordergrund, nicht die Daten! Die Macher sind das größte Faustpfand. Sie schaffen Kundenbindung. Sie machen den Unterschied.

KI ist stark. Kollaboration ist stärker

Datenbasiertes T&T-Tracking und darauf basierendes Agenda Surfing ist ohne KI-gestützte Modelle nicht umsetzbar. Die künstliche Intelligenz wird sich rasant weiter entwickeln und immer mehr Möglichkeiten in Bezug auf Vorhersage, antizipierende Steuerung und umfangreiche Datenauswertung auf Knopfdruck liefern. Natürlich wird das auch dazu führen, dass Dienstleister gegen Tools ausgetauscht werden, siehe ChatGPT, Midjourney und Co.

Gleichwohl müssen Vorhersage-Modelle sauber konfiguriert, gepflegt, analysiert und interpretiert werden. Von daher nochmal: es sind die People, vom Data Scientist bis zum Analyse-Experten oder externen Berater, die wichtiger werden statt obsolet. Dieser „Trend“ ist schon in den letzten Jahren beobachtbar und wird sich fortsetzen. Die Kollaboration zwischen Dienstleistern und Comms wird zunehmend stärker. Wo früher eine pptx-Analyse anonym verschickt wurde, präsentiert heute der Analyst des Dienstleisters die Ergebnisse vor den Comms oder gar dem Vorstand. Kommunikationsstrategien werden mit Intelligence-Dienstleistern geteilt. Der (gute) Key Accounter wird regelmäßig zu Comms-Veranstaltungen hinzugezogen, um zu den sich laufend wandelnden Herausforderungen Intelligence-Lösungsansätze zu erarbeiten.

Zusammenarbeit auf Augenhöhe bringt die besten Ergebnisse. Comms sollten ihre Ansprechpartner beim Dienstleister sowie ihre Kommunikations-Berater daher eng einbinden in alle Prozesse und Überlegungen. Und die Dienstleister müssen agieren, als seien sie Teil der Comms.

Ich wünsche allen auf dieser Reise viel Spaß und Erfolg!

Herzliche Grüße, Ihr

Roberto Minasso

Haben Sie Anregungen oder Fragen zu diesem Thema oder wollen ein predictive Comms-Projekt starten? Kontaktieren Sie mich! Ich bin jederzeit und gerne für Sie da.

Wie Ausschreibungen in der Unternehmenskommunikation zum Aha-Erlebnis werden

Media Intelligence-Ausschreibungen in der Unternehmenskommunikation sind eine exzellente Möglichkeit für Markterkundungen, Reputationssteigerung, Budget-Controlling und das Challengen der Bestands-Dienstleister. In der Realität aber fehlt es den chronisch klammen und unterbesetzten Comms zu oft an echtem Gestaltungswillen und -raum. Dies führt im schlimmsten Fall zu einer lose-lose-Situation im Alltag. Woran das liegt – und wie eine Ausschreibung zu einem vollen Erfolg werden kann.

Der Startschuss: Zwischen Fremdbestimmtheit, Gestaltungswille und Ressourcenmangel

Media Relations-Verantwortliche können ein Lied davon singen: Ausschreibungen sind selten intrinsisch motiviert. Es läuft doch eigentlich ganz solide mit dem Dienstleister, und dann kommt der neue Head of Comms und will seinen alten Buddy-Provider in die Unit pressen, oder der Einkauf pocht auf Einhaltung interner Regularien.

Solcherlei Fremdbestimmtheit ist kontraproduktiv, doch wer darüber klagt, übersieht das eigentliche Problem.

Die weithin fehlende Begeisterung gegenüber Dienstleister-Evaluationen ist eher grundsätzlicher Natur, und hat zuallererst mit dem (zumindest temporär betrachtet) beachtlichen Projekt Management zu tun, das damit einhergeht. Die Unternehmenskommunikationen planen hierfür – wie für das gesamte Media Intelligence Management – angesichts der Budgetzwänge in den seltensten Fällen Ressourcen ein und wehren sich demzufolge regelmäßig, neben dem intensiven Tagesgeschäft Ausschreibungen proaktiv anzugehen. Jede Gelegenheit wird genutzt, das Thema ein weiteres Jahr auf die lange Bank zu legen. Und wenn es dann doch mal wieder „sein muss“, dann am besten mit dem geringstmöglichen Aufwand. Copy Paste der Unterlagen der letzten Ausschreibung rulez!

Wie es auch im konkreten Fall aussehen mag: Wenn die Fachabteilung keinen eigenen Gestaltungswillen und -raum für eine Ausschreibung hat, ist das eine denkbar schlechte Voraussetzung. So entstehen im Zweifel Fake-Ausschreibungen, die immer noch Aufwand mit sich bringen, in denen aber der Sieger von vornherein feststeht und es keinen Erkenntnisgewinn in Form von Weiterentwicklung des Produktportfolios gibt. Oder noch schlimmer: man wählt einen Dienstleister, den man nicht gut genug kennenlernen konnte im Prozess, und fällt beim Onboarding schwer auf die Nase.

Im Best Case-Szenario dagegen geht die Unternehmenskommunikation proaktiv vor:

  • sie schafft in der Unit Raum für das Media Intelligence Management oder zieht (temporär, anlassbezogen in Wiederholungen oder dauerhaft) externe Beratung hinzu, die sich mit dem Themenkomplex auskennt
  • sie hinterfragt regelmäßig ihre bestehenden Services entlang der sich ebenfalls wandelnden Kommunikationsstrategie und dem Kosten-Nutzen-Faktor
  • sie informiert sich regelmäßig über andere Leuchtturm-Projekte des Dienstleisters und von Wettbewerbern des Dienstleisters
  • sie schreibt regelmäßig (alle zwei Jahre ist ein guter Turnus) aus. Ob dies öffentlich geschieht, liegt oft nicht in der Hand der Unternehmenskommunikation. Tut es dies doch, so soll jede UK für sich entscheiden, welcher Weg der beste ist. Die Faustregel lautet: je weniger Marktkenntnis der Auftraggeber hat, desto mehr spricht für den öffentlichen Weg
  • sie steuert die Ausschreibung ambitioniert, offen und sorgfältig
  • und sie nimmt dabei alle internen Stakeholder (vom Head of Comms über etwaige weitere Units und sonstige „Empfänger“ bis zum Einkauf) mit

Ein solches Vorgehen ist nachhaltig; es zahlt sich nicht nur in puncto Reputation aus, sondern in aller Regel auch monetär, wenn das Media Intelligence Management auch durch ein fortlaufendes Comms Controlling innerhalb der gesamten Wertschöpfungskette flankiert wird. So kann angesammeltes Fett stetig abgetragen werden, sei es durch das Streichen obsoleter oder nicht zielführender Services, den Einsatz stetig ansteigender Automatisierungsprozesse oder klugen Maßnahmen in der Media Monitoring Distribution (Lizenzen, Datenfeeds, Abos, Leserzahlen etc.). Es macht zudem im Zweifel resilient vor „äußeren“ Eingriffen, da ein eingespielter Prozess schwieriger zu konterkarieren ist. Und es macht auch den Bestands-Dienstleister, wenn er sich denn in der Ausschreibung durchsetzt, laufend besser. Win-Win statt lose-lose…leider oft nur Theorie statt Praxis.

Die Aufbereitung: Zwischen Prosa und Excel

Die aufzubereitenden Dokumente für eine Ausschreibung sind keine triviale Angelegenheit. Sie sind vielmehr elementare Voraussetzung für passende Bieter-Angebote und eine optimale Vergleichbarkeit potenzieller Bewerber.

Schlecht aufbereitete Ausschreibungsdokumente können sich zum Minenfeld entwickeln. Sie erschweren den Prozess der Ausschreibung und die Bewertung der Angebote, bringen unliebsame Überraschungen im Onboarding zu Tage, und behindern im daily business das Quality Management des Dienstleisters. Daher sollte der Auftraggeber einwandfreie Dokumente aufbereiten, die in Sachen Sorgfalt und Qualität einem kleinen Finanzbericht oder einem Strategiepapier Paroli bieten können.

Neben den administrativen Formblättern, die je nach Prozess nötig sind, sollte eine Ausschreibung folgende Grundlagendokumente umfassen:

  • Das geforderte Medienpanel: Es macht nur in den seltensten Fällen Sinn, den Kelch hier an die Bieter weiterzugeben. Denn dabei kommen nur Überbietungswettbewerbe raus, die den wahren Bedarf und die Kosten unnötig ausdehnen. Das Panel sollte besonders bei qualitativ orientierten Leistungen dem Grundsatz „Smart Data“ statt „Big Data“ folgen und definiert werden vom Auftraggeber, um das relevante Stakeholder-Spielfeld festzulegen. Nice to haves, wie dynamische Anpassung, aktive Medienberatung oder Stakeholder- bzw. Influencer-Audits o.ä. kann man im RFI (Request for Information, s.u.) abfragen, um die Dienstleister auf ihre dahingehende Kompetenz und Flexibilität zu prüfen.
  • Eine detaillierte Leistungsbeschreibung der angefragten Services: Der Auftraggeber sollte in diesem Dokument die konkreten Leistungen sowie die Erwartungshaltung dahinter eindeutig platzieren. Kennzahlen wie Artikelmengen, Lieferzeiten, Anzahl Lizenzen, Leserkreise, Deadlines, Reaktionszeiten, Service Level etc. dürfen nicht fehlen. Die Prosa ist an dieser Stelle aber genauso wichtig: Was muss welcher Service leisten? Welche Qualität wird im Detail erwartet? Wo ist der Mensch entscheidend und was kann automatisiert erfolgen? Wie stellt sich der Auftraggeber Distribution, den Austausch im daily business und dynamische Anpassungen von Leistungen vor? Die Leistungsbeschreibung ist der auf die aktuellen Bedürfnisse modifizierte Redaktionsleitfaden des Bestands-Dienstleisters (hoffentlich liegt einer vor!), sollte aber ggf. modifiziert, sprich: in eigene Worte gebracht werden, damit der Bestands-Dienstleister keinen unlauteren Vorteil darin platzieren kann, den der Auftraggeber im Zweifel nicht entdecken wird in den Formulierungen.
  • Ein RFI (Request for Information): Manche Ausschreibungen lagern das komplett aus bzw. ziehen es einer Ausschreibung vor. Das dient vor allem dazu, aus einer Longlist eine Shortlist zu machen. Das macht bei öffentlichen Ausschreibungen auch Sinn, um den Grad der Beschäftigung mit den umfangreichen Dokumenten der Bieter möglichst effizient zu gestalten. Man kann das RFI-Dokument aber auch in einen integrierten Zeitplan der Ausschreibung betten. Konkret hängt der richtige Weg vom Case ab. Was bleibt: Der RFI liefert dem Auftraggeber wertvolle Erkenntnisse zum Bieter, wenn die richtigen Dinge abgefragt werden. Er ist besser als eine reine Unternehmensvorstellung der Bieter, denn diese gehen in aller Regel nicht wirklich auf den Bedarf des Auftraggebers ein, sondern plustern sich stattdessen selbst möglichst plakativ auf. Der Auftraggeber sollte also lieber konkret abklopfen, worauf es ihm ankommt. Informationen zur Infrastruktur und Leistungsfähigkeit der Bieter sind obligatorisch, entscheidend sind aber auch Referenz-Projekte und -Kontakte, besonders letztere sollten bei einer Abfrage dann auch kontaktiert werden, um zwischen den Zeilen zu lesen, wie der Bieter im daily business performt. Ein Abfragen der Branchenexpertise kann sinnvoll sein, im Grunde geht es aber allgemeiner um Qualitätsbewusstsein, Verbindlichkeit und Engagement. Am Ende ist Media Intelligence Dienstleistung ein People Business, also sollte der Auftraggeber auch die Bieter auffordern, das Team expressis verbis zu benennen, abzubilden, portraitieren zu lassen und an geeigneter Stelle im weiteren Prozess auch persönlich kennenzulernen.
  • Eine festgelegte Preismatrix: Hier sollte genau darauf geachtet werden, keine offenen Fragen oder individuelle Bearbeitung von Zellen und Werten entstehen zu lassen. Der Aufbau sollte also von vornherein die bestmögliche Voraussetzung für eine optimale Vergleichbarkeit liefern. Wenn irgendwie möglich, sollte mit Pauschalen (auf der Grundlage von Artikelmengen und weiteren Kennzahlen, die sich auch im Leistungsverzeichnis finden) pro Leistungsumfang operiert werden. Die einzelnen Leistungen sollten also nicht kleinteilig zerpflückt werden (etwa in Recherche, Ausgabenpreis, Artikelpreis, Preis pro Medium, Land etc.), da dies nur Unübersichtlichkeit mit sich bringt. Daneben sollten allgemeine Stundensätze abgefragt werden sowie Einzelpreise bei etwaigen Überlieferungen der Kennzahlen. Auch wenn nicht jeder Fall gleich geartet ist und es mitunter auch komplexer werden kann: Vereinfachung ist grundsätzlich geboten. Gleichzeitig sollten alle Preisdeterminanten bedacht werden, sonst entstehen beim Onboarding Zusatzkosten, die auf fehlende Sorgfalt zurückzuführen sind.
  • Eine Bewertungsmatrix: Um eine solide und objektive Entscheidung treffen zu können, sollte eine Bewertungsmatrix aufgesetzt und mit den Bietern geteilt werden. Die Matrix enthält im besten Fall mehr als zwei Kriterien. Möglich ist etwa: Qualität des RFI, Performance im Pitch-Termin, Performance einer Aufgabenstellung, Preis. Man kann die einzelne KPIs gewichten. Leider geschieht dies zu häufig zugunsten der Preisebene, was dazu führt, dass durch Versteigerungen oder Dumping-Preise Dienstleister an Bord geholt werden, die fachlich nicht zur Unit passen. Das ist ein grob kurzsichtiger Trugschluss, denn die ressourcenbedingten Folgekosten für die zusätzliche Steuerung und das Qualitätsmanagement fressen die Einsparungen schnell wieder auf. Hinzu kommt: Beginnt eine Ausschreibung unter solchen Voraussetzungen, schadet das der internen Reputation, der Motivation und einem guten Miteinander zwischen Auftraggeber und -nehmer. Daher: Der Preis sollte gegenüber den anderen Faktoren keine gehobene Stellung in der Gewichtung einnehmen. Es lohnt sich, in der Fachabteilung dafür zu kämpfen.
  • Natürlich darf auch ein Zeitplan für die Ausschreibung nicht fehlen
  • Eine Checkliste für die Bieter, was die Abgabe der Dokumente betrifft, ist je nach Komplexität ebenfalls sinnvoll

Schon diese kurze Auflistung zeigt: auf die leichte Schulter nehmen sollte man ein Ausschreibungsprojekt nicht. Umgekehrt fallen die Dokumente umso leichter, wenn man eine laufende Dokumentation und dynamische Anpassung der Dokumente im Media Intelligence Management eingeführt hat.

Der Prozess: Zwischen Effizienz und Erkenntnis

Besonders öffentliche Ausschreibung glänzen zu häufig vom Start bis zur Vergabe vor Anonymität. Dabei bringt der persönliche Austausch oft die größten Erkenntnisse! Der Auftraggeber sollte daher immer Pitch-Termine in den Prozess integrieren. Wie breit und tief man diese auslegt, entscheidet der Case und der Prozess (hierfür ist die Longlist-Shortlist-Methode im Rahmen des RFI hilfreich). Am besten ist, man definiert den Pitch-Termin vorher inhaltlich und zeitlich klar durch. In etwa so:

  • 90 Minuten
  • Vorstellung des Teams
  • Vorstellung der exemplarischen Aufgabenstellung
  • Vorstellung des Onboarding-Prozesses
  • Vorstellung des Angebotes
  • Q&A

Auch die Fragen und Antworten zu den Ausschreibungsunterlagen kann man in einem persönlichen Call klären bzw. näher darauf eingehen. Eine Beantwortung der Fragen jedes einzelnen Bieters an alle Bieter in schriftlicher Form ist aber auch ok. Der Auftraggeber wird dabei übrigens auch feststellen: je weniger Fragen, desto besser waren seine Dokumente. Und je weniger Rückfragen, desto besser waren die Antworten.

Die genannte exemplarische Aufgabenstellung sollte verhältnismäßig sein, und es gebietet der Respekt vor den Bietern, diese auch zu bezahlen bzw. mit dem Setup zu verrechnen. Dies bekräftigt gegenüber dem Dienstleister die Ernsthaftigkeit, und ist nebenbei auch ein gutes Korrektiv für den Umfang der Aufgabenstellung. Die Aufgabe sollte echte Erkenntnisse bringen und vergleichbar sein. Sie muss nicht unbedingt die wahre Leistungsstärke des überlegenen Bieters repräsentieren, dient aber u.a. auch später gut als Benchmark, wenn es um das Onboarding geht.

Am Ende ist der Prozess die Bestätigung, dass die Aufbereitung der Anforderungen verstanden wurde und jeder Bieter entlang dieser seine Qualitäten dabei ausspielen konnte. Außerdem gewinnt der Auftraggeber ggf. weitere Insights über sein Media Intelligence Setting und mögliche Ausbaustufen für die Zukunft.

Deshalb sollte auch in dieser Stufe der Ausschreibung Raum und Intensität investiert werden.

Die Entscheidung: Zwischen Bauchgefühl und Vernunft

Wenn es darum geht, sich für den richtigen Dienstleister zu entscheiden, führt der o.a. Prozess meist zu einer Objektivierung des Bauchgefühls, so wie eine gute Medienresonanzanalyse. Stimmt das Media Intelligence Management, so wird auch ein Dienstleisterwechsel die dahingehenden Bedenkenträger verstummen lassen. Und die Entscheidung, an einem Dienstleister festzuhalten, kann damit genauso gut argumentiert werden.

Je enger die Entscheidung ist, desto mehr sollte auf das Bauchgefühl derer gehört werden, die an der Media Relations-Front mit dem Dienstleister arbeiten. Also bottom-up statt top-down entscheiden.

Ehrliches und eingehendes Feedback in Richtung der unterlegenen Bieter sollte Formsache sein. Das wird nicht nur gutiert von den Bietern, sondern zahlt auch auf zukünftige Angebote dieser Bieter ein.

Außerdem ist es eine sinnvolle Vorgehensweise, den Zweitplatzierten anlassbezogen (etwa mit einer Sonderanalyse oder einem neuen Projekt abseits der Leistungen aus der Ausschreibung) zu beauftragen, um ihn näher kennenzulernen. Daraus entstehen sehr häufig beste Ergebnisse, da der Bieter sich extrem ins Zeug legen und demzufolge überliefern, der Bestands-Dienstleister außerdem herausgefordert, und der Media Intelligence-Horizont der Media Relations-Unit erweitert wird.

Epilog: Ist das wirklich alles?

Nehmen Sie das Heft in die Hand. Etablieren Sie einen Prozess. Schaffen Sie Raum und Ressourcen für das Media Intelligence Management, durch eine interne Stelle oder durch externe Beratung wie MIC. Planen Sie eine Ausschreibung von A-Z sorgfältig, und nehmen sie diese ernst. Die Ergebnisse werden Sie überraschen – monetär, strukturell und konzeptionell sollten Ihre Ausschreibungen der Benchmark sein. Es lohnt sich, versprochen!

Werteorientierte Unternehmensführung als KPI in der Unternehmenskommunikation

(Keine?) Zeit für Werte

Werteorientierung hat es nicht leicht. Die Gefahr, je nach Wert in ein wie auch immer geartetes „Washing“ zu geraten, ist groß und kann teuer werden. Und der Begriff Purpose, der lange als hip galt und auf dessen Zug viele Unternehmen – nicht selten ohne gründliche Vorbereitung – aufsprangen, gilt mittlerweile in vielen Kreisen als verheizt und wird von bedeutenden Akteuren der Wirtschaft auch inhaltlich offen angezweifelt.

Der Chef des Wirtschaftsverbandes BGA ließ sich dementsprechend im Herbst des vergangenen Jahres zu einem Zitat in Richtung eines rein wertebasierten Gesetzes hinreißen, das man sich auf der Zunge zergehen lassen muss: „Die größte Gefahr für den freien Handel ist derzeit nicht der russische Krieg gegen die Ukraine, sondern das deutsche und das europäische Lieferkettengesetz“

Ja, Werte tragen Risiken. Fast jede nicht wirtschaftlich basierte werteorientierte Unternehmensführung steht auf den ersten Blick in einem potenziellen Konflikt zum wirtschaftlichen Ertrag. Zieht man sein Geschäft aus Russland ab, kostet das Umsatz und Arbeitsplätze. Wenn man auf Nachhaltigkeit setzt, erfordert das mitunter enorme initiale Investitionen und einen ungewissen ROI. Agiert man gemeinwohlorientiert, sinkt erstmal die Rendite. Kontrolliert oder wechselt man gar seine Lieferanten, weil diese gegen das Lieferkettengesetz verstoßen, steigert das im Zweifel die Kosten und bringt viel administrative Arbeit mit sich. Die Liste lässt sich fortführen.

Doch diese Sicht ist eine kurzsichtige: Was ein Unternehmen sein will, wofür es sich stark machen will und welchen Beitrag es zu gesellschaftlichen Debatten in Bezug zu seinem Wertekanon konkret und stringent leistet, wird den langfristigen Erfolg in vielen Fällen maßgeblich mitbestimmen. Nicht in allen Fällen. Aber in vielen. Dafür sprechen zahlreiche Studien zum Konsumverhalten, das sich in den letzten Jahrzehnten von Generation zu Generation weiter in diese Richtung verschoben hat, und selbst Investoren bewerten Unternehmen mittlerweile auch nach solchen Aspekten. Ein leuchtendes Beispiel dafür ist Patagonia.

Nun muss ein Wertekanon eines wirtschaftlich agierenden Unternehmens nicht zwingend und immer rein moralischer Natur sein. Es geht zunächst darum, auch wandelnde Bedürfnisse seiner Personas zu befriedigen und sein eigenes Agieren dazu in ein gesellschaftlich relevantes Verhältnis zu setzen. Das macht es nicht weniger relevant. Es geht letztlich um (Unternehmens-) Identität, um Wahrhaftigkeit, um einen Wertekompass des eigenen Denkens und Handelns. Langfristig wird kein Mensch erfolgreich (oder gar glücklich), der vorgibt, etwas zu sein, was er nicht ist. Wieso sollte es Unternehmen anders gehen?

Wie Werte Marken stark machen

Hier setzt das Buch „Wie Werte Marken stark machen“ von Nina Rieke-Dalaman und Hans-Christian Schwingen ein. Die beiden Marken-Profis haben ein Leitsystem für werteorientierte Markenführung entwickelt und dieses auf weniger als 100 Seiten zu Papier gebracht. Mich hat dieses Buch in mehrfacher Hinsicht begeistert: Das Thema Werte ist relevant und wird dabei nicht belehrend behandelt. Das Leitsystem ist praxisorientiert und weist interessierten Unternehmen einen nachvollziehbaren Weg, von der Orientierung über die Aktivierung bis hin zum Erleben. Und es ist konzeptionell klar aufgebaut und visualisiert. Nina und Hans-Christian sprechen in dem Buch von Marken. Ich würde Marken in diesem Zusammenhang mit Unternehmen gleichsetzen. Daher nutze ich diesen Begriff im Folgenden auch immer wieder statt Marken.

Das Leitsystem sieht (stark verkürzt) folgende Stufen vor:

Gestaltungswille und Typisierung

Am Anfang sollte sich ein Unternehmen die Frage stellen, ob es den Weg gehen will, seine Werteorientierung zu evaluieren und sich als Wertetyp einzuordnen. Liegen Werte in der DNA des Unternehmens? Dann kann das Leitsystem als Bestätigung dienen. Soll ein grundlegender Wandel eingeleitet werden? Das Leitsystem kann dann als Zündung und Kompass dienen. Oder will das Unternehmen schnelle Purpose-Erfolge ohne nachhaltige Struktur? Dann lieber die Finger vom Leitsystem lassen.

Dekonstruktion entlang des Werte-Canvas

Nina und Hans-Christian nennen es Self-Assessment. Die zentrale Frage lautet: Wofür brennt mein Unternehmen? Hierzu wird ein vierdimensionales Schema angelegt, dass sich in jeder Dimension mit den Wertevorstellungen befasst: Der Mensch (also: Kunde), die Gesellschaft, der Wettbewerb sowie das eigene Unternehmen. Entlang dieses Canvas geht es nun ans Assessment, in dem man jeder Dimension eine unbestimmte Zahl an (gerne kritischen) Fragen zuordnet. Also etwa:

  • Mensch: Worauf legen unsere Kunden wert? Was schätzen unsere Kunden an uns?
  • Gesellschaft: Welche Werte der Gesellschaft sind Business-relevant für uns? Auf welche Fragen haben wir (bereits/noch keine) Antworten?
  • Unternehmen: Was hat uns erfolgreich gemacht? Was wollen wir in Zukunft erreichen?
  • Wettbewerb: Was machen wir anders als andere? Gibt es Impulsgeber im Markt?

Zuordnung Werte-Matrix und Werte-Matching

Die Antworten auf diese Fragen werden nun mittels Textanalyse inkl. möglicher Gewichtung einer festgelegten Werte-Matrix zugeordnet, die gut 80 Werte umfasst, die wiederum insgesamt 10 Oberbegriffen zugeordnet sind. Zwei Beispiele: Gemeinsinn als Oberbegriff (Verantwortung, Empathie, Hilfsbereitschaft als Spezifikations-Begriffe) oder Abenteuer (Mut, Inspiration,…).

Und daraus ergibt sich ein Werte-Matching entlang der vier Dimensionen. Je stärke das Werte-Matching, desto relevanter wird der Wert.

Verdichtung und Vertextung

Man kommt so zu x verdichteten Werten, zu denen man sich anschließend eine Story überlegen kann, die wiederum zu einem Claim, einer Mission vertextet werden kann.

Die Autoren nehmen das Beispiel der Deutschen Telekom zur Hand. Da steht dann nach der Logik des Leitsystems am Ende der Claim „Wir geben uns erst zufrieden, wenn alle an den Möglichkeiten der Digitalisierung teilhaben können“, der auf die Werte Engagement, Gerechtigkeit, Verbindung, Optimismus, Gemeinschaft und Zugehörigkeit einzahlt.

Bei MIC war der Weg zum Claim dahingehend übrigens: Leistung, Engagement, Nachhaltigkeit, Ordnung, Kooperation, Vertrauen, Fleiß => Getting things done!

Erfolgskontrollen, Checklisten, Tipps, Archetypen und Wertemanifeste

Hierbei betonen die Autoren Markenmonitoring, wirtschaftliche Erfolgsmessungen sowie den Identifikationsgrad bei den Mitarbeitern. Dieses Kapitel bleibt allerdings arg an der Oberfläche für einen Mess-Junkie wie mich.

Das Buch hat aber noch mehr zu bieten. Praxisnahe Checklisten und Tipps zur Umsetzung, Archetypen-Sammlung für diverse Werte, der (subjektive) Anwendungsfall Telekom in den einzelnen Schritten sowie einige Beispiele von Markenmanifesten bekannter Marken, die alle Ergebnis eines solchen Leitsystem hätten sein können.

Werte als KPI-Messung in der Media Intelligence

Als Markenthema definiert bieten sich Untersuchungen und Erfolgskontrollen auf Werteebene zunächst im Bereich Marketing oder Strategie an. Oft bleibt es dabei aber bei grundsätzlichen Marktforschungs-Projekten oder allgemeinen Social Media Analysen.

Ich nenne zwei Beispiele:

Der „Purpose Readiness Index“ von Globeone untersuchte etwa 2022 die Glaubwürdigkeit deutscher Unternehmen anhand einer breit angelegten Umfrage. Eine interessante Untersuchung, die Ihren Index u.a. aus Fragen zu Authentizität, Nachhaltigkeit, Profitorientierung und Zukunftsfähigkeit zusammensetze. Allerdings wurden alle Unternehmen dabei dem gleichen Setting unterzogen, was nicht unbedingt zielführend ist für die Einschätzung, welche von den Unternehmen selbst gesetzten Werte wie bei den Konsumenten wirken.

Der „Werteindex“ von Bonsai Research dagegen setzt auf Social Media Listening, fokussiert sich allerdings auf die gesellschaftliche Ebene, in dem er eine Wertematrix von einem guten Dutzend Werten kontinuierlich auf die (Social) mediale Resonanz hin untersucht. Die Wertematrix unterscheidet sich in vom Leitsystem von Rieke-Dalaman und Schwingen, hat aber schon eine große Tradition (es gibt ihn seit 2009) und somit einen besonderen Wert, da sie gesellschaftliche Entwicklungen in der Werteverschiebung aufzeigt.

Ich plädiere hier für ein Modell entlang des Leitsystems von Rieke-Dalaman und Schwingen. Und ich verorte es in der Unternehmenskommunikation. Denn wo sonst wird Strategie in Worte gebracht und damit zum Leben erweckt? Ein solches Modell haben wir (mein ehemaliger Kollege Sebastian Peter sei hier besonders erwähnt) gemeinsam mit den Buch-Autoren zu meiner Zeit bei CURE Intelligence Anfang 2022 entwickelt. Es entstand leider genau zur Zeitenwende, und wurde u.a. deswegen sowie teilweise daraus resultierenden anderen Prioritäten auf Kunden- und CURE-Seite auf Wiedervorlage gesetzt.

Das Modell sieht neben klassischer Intelligence-Software auch Data Science Methoden sowie KI-Technologie vor, und kann somit

  • ähnlich wie ein klassisches Topic-/Issue-Monitoring aufgesetzt werden
  • als Cockpit-Lösung in Echtzeit oder im Rahmen einer Medienresonanzanalyse abgebildet werden
  • Unternehmen sowohl begleitend beim Start des „Projektes Werteorientierung“ (etwa durch eine Nullmessung zu allen 80 Werten) als auch nach der Positionierung als Erfolgskontrolle (für das ermittelte Werte-Matching) eingesetzt werden
  • die eigene Kommunikation der Corporate Publisher (vom CEO bis zum Kundenberater in den Social Media) auf das Werte-Matching hin untersuchen, um zu prüfen, ob das Manifest gelebt wird
  • die Reaktion der Menschen auf die Eigenkommunikation hin messen, um die Wirkung auf dieser Ebene hin zu tracken
  • eine ALL Media Stakeholder-Kommunikation über das Unternehmen gegen die Eigenkommunikation legen, um die Innen- und Außenwahrnehmung zu überprüfen
  • all‘ dies auch auf die Peer Group anwenden, um den Benchmark-Vergleich zu haben
  • das Werte-Matching übergeordnet oder individuell mit Zielwerten versehen und die Entwicklung so laufend tracken
  • durch Handlungsempfehlungen und Action Points flankiert werden

Unternehmen mit Werteorientierung hätten in diesem Modell eine substanzielle Ergänzung ihrer klassischen KPI-Messung. Ja, sie könnten sogar die Ergebnisse aus der Werte-Analyse zusätzlich auf die anderen KPIs (etwa Reputation) einzahlen lassen oder klassische Themendimensionen mit diesen verknüpfen, um den Reputationsanteil einer guten Wertekommunikation in den Dimensionen zu belegen. Die Möglichkeiten sind enorm, bis hin zu einer monetären Messung des „Value Values“ analog zum Brand Value.

Aber auch Dienstleistern bietet ein solches Modell Chancen, sich zu platzieren. Wie wäre es, ein solches Modell, ganzheitlich oder auf wenige „Mega-Werte“ nach Bonsai reduziert auf den DAX oder einzelne Branchen anzuwenden und dabei mit den Bonsai Research Ergebnissen auf gesellschaftlicher Ebene zu verknüpfen? Die Ergebnisse könnte man quartalsweise in den Social Media, Fachmedien oder sogar überregionalen Tageszeitungen publizieren. Ich bin überzeugt: Eine solche Auswertung hat das Potenzial, ein Zeichen zu setzen, eine relevante (neue) Zielgruppe anzusprechen, und damit die Sichtbarkeit und den Erfolg einer Media Intelligence Company zu erhöhen.

 

Werte bleiben aller Unkenrufe zum Trotz nicht nur relevant. Sie werden relevanter. Nach innen (Mitarbeiter-Identifikation) und nach außen (Kunden-Identifikation). Und die Unternehmenskommunikation ist die Unit, die diese Werte in Botschaften übersetzt. Es wird Zeit, dass Werte auch in der Kommunikationsmessung Einzug finden.

CEO-Kommunikation: Reibungsloser Übergang

Bei CEO-Wechseln gilt es, zwei Prozesse zu managen: den Abschied des aktuellen Chefs und die Positionierung der nachfolgenden Person. Wie sollten Unternehmen hier vorgehen? Hier geht’s zum kompletten Artikel: https://www.kom.de/reibungsloser-uebergang/